Zwischen Chance und Risiko: Reto Vogt über KI im Corporate Newsroom
- Newsroom Communication
- 9. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen
Künstliche Intelligenz verändert die Kommunikation grundlegend – und damit auch den Corporate Newsroom. Reto Vogt, Studienleiter für Digitale Medien und KI am MAZ, spricht über Effizienzgewinne, Risiken für die Glaubwürdigkeit und warum Verantwortung immer beim Menschen bleiben muss.
Reto Vogt, welche Chancen eröffnet KI für Corporate Newsrooms in der täglichen Redaktionsarbeit?
Die Chancen sind simpel: Wir reden von Effizienz. Medienmitteilungen lassen sich schneller verfassen, Journalist:innen-Anfragen rascher abwickeln. Ein Beispiel: Die BKW hat einen GPT mit der eigenen Corporate Language trainiert. So lassen sich beispielsweise Zitate von CEO oder CFO generieren, um sie in Medienmitteilugen zu verwenden. Insgesamt ist der erste Entwurf einer Medienmitteilung um Faktor 5-6 schneller fertig.
Entsteht dadurch nicht auch ein Risiko? Gerade in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Qualität?
Chancen und Risiken halten sich die Waage. Problematisch wird es, wenn KI Zusammenhänge falsch setzt oder Aussagen irreführend erscheinen. Mein Rat: nie alles von Grund auf generieren lassen. Man sollte immer selbst Herr der Lage bleiben – also das Ausgangsmaterial wie Notizen, Gedanken oder erste Textfassungen selbst erstellen und die KI nur für den Feinschliff nutzen. Wichtig ist zu verstehen: Ein Chatbot kennt die Wahrheit nicht, er berechnet einfach Wahrscheinlichkeiten. Entsprechend ist der Einsatz von KI zum Beisipel für Wissensfragen ungeeignet.

Reto Vogt leitet den Studiengang Digitale Medien und KI am MAZ in Luzern. Bild: Manuela Matt / manuelamatt.ch
Der Use Case für Content-Generierung hat sich etabliert. Kann KI auch die strategische Themenplanung übernehmen?
KI ist in jedem Bereich eine wertvolle Unterstützung. Sie hilft beim Erstellen von Personas oder Roadmaps, sogar bei der Planung von Studiengängen am MAZ haben wir sie eingesetzt. Der Grundsatz ist immer derselbe: Je besser der Input, desto besser der Output. Genau wie beim Agentur-Briefing: Unternehmen müssen sich überlegen, was sie wollen, und das klar formulieren.
Wo liegen die Grenzen der KI?
Überall dort, wo es um Verantwortung geht. Verantwortung kann nur ein Mensch übernehmen – nie eine Maschine. KI bleibt ein Werkzeug, das Mitarbeitende unterstützt. Aber sie ist und bleibt eine Maschine.
Und wo liegt das grösste Potenzial – macht KI die Arbeit vielleicht sogar kreativer?
KI kann nichts erschaffen, was es noch nie gab. Was sie produziert ist immer eine Wiederverwertung von bestehendem Material. Aber sie kann helfen, neue Blickwinkel einzubringen und damit kreative Prozesse voranbringen. Ich sehe KI deshalb klar als Unterstützung. Spannend ist zudem der rechtliche Aspekt: Alles, was eine KI produziert, ist in der Schweiz nicht urheberrechtlich geschützt. Das finde ich auch richtig so, weil dadurch kreative Berufe wie Fotograf-, Grafiker- oder Illustrator:innen geschützt werden.
Welche KI-Tools nutzt du aktuell am meisten?
Text-Tools (z. B. ChatGPT, CustomGPTs)
Präsentations-Tools (z. B. Gamma.ai)
Analyse-Tools (z. B. Ellicit, Notebook LM)
Noch keine – ich teste erst
Wie wird KI den Alltag von Kommunikator:innen konkret verändern?
Wer KI nicht nutzt, wird rasch merken, dass die Kolleg:innen rundum viel effizienter sind. Darum ist Weiterbildung zwingend: Wer versteht, wie KI-Modelle funktionieren, kann sie gezielt einsetzen. Unternehmen müssen zudem entscheiden, wie sie den Einsatz regeln – sonst riskieren sie, dass Mitarbeitende private Accounts nutzen und Unternehmensdaten in externen Systemen landen. Dieses Phänomen heisst Schatten-KI.
Welche Jobs fallen weg – und welche entstehen?
Wegfallen werden Routineaufgaben: Clippings, Medienschauen, Reportings – auch das Verfassen von Medienmitteilungen wird schon bald automatisiert sein. Neue Jobs entstehen dafür im Bereich Schulung und Einführung: Jeder Newsroom braucht künftig ein, zwei Leute, die die Tools evaluieren, Prozesse definieren und das Team fit machen. Prompt Engineers werden hingegen kaum gebraucht – die KI entwickelt sich so schnell, dass sie immer einfacher zu bedienen ist.
Welches KI-Tool begeistert dich gerade am meisten – und warum?
Sehr hilfreich finde ich Projekte und CustomGPTs. Für Präsentationen nutze ich Gamma.ai – in Kombination mit ChatGPT habe ich so in nur 30 Minuten eine komplette Präsentation im Corporate Design erstellt. Das ist ein grosser Fortschritt. Grundsätzlich rate ich aber, nie nur auf ein einzelnes Tool zu setzen, sondern mehrere parallel zu nutzen. Man muss immer damit rechnen, dass ein Dienst von heute auf morgen wegfällt – siehe Twitter.
Reto Vogts KI-Tool-Tipps
Notebook LM – verwandelt grosse PDF-Dateien in Podcasts zum Anhören.
Elicit – sucht wissenschaftliche Papers und erstellt Reports.
Nano Banana – neue Bild-KI von Google, besonders stark bei der Bearbeitung bestehender Bilder.
Jan.ai – unterstützt beim Einrichten einer lokalen KI; wichtig für Datenschutz, dauert rund 30 Minuten.
Publicai.co – erste Schweizer KI (EPF/ETH), spannende Alternative zu US- und China-Trainingsdaten.
Wie siehst du den Corporate Newsroom in fünf bis zehn Jahren – mit Blick auf KI?
KI wird in jedem Newsroom eine zentrale Rolle spielen. Viele mühsame Prozesse, die heute noch von Menschen ausgeführt werden, sind dann vollautomatisiert. Aber: Es wird entscheidend sein, Fragen der Verantwortung zu klären. Wer das nicht tut, riskiert Vertrauensschäden. Fälle, in denen Chatverläufe plötzlich öffentlich wurden oder falsche Informationen weitergegeben wurden, zeigen: Die Risiken sind real. Wer KI nutzt, muss wissen, was er tut – und klare Regeln aufstellen.
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